Heinrich Geuther – Wie alles kam,
so wie es kam…

Offiziell ist es als das „Afrikanische Jahr“ in die Geschichte eingegangen – das Jahr 1960. Es war das Geburtsjahr von 18 selbständigen Staaten auf dem afrikanischen Kontinent. Allein in der Woche vom 20. zum 28. September wurden 13 von ihnen in die UNO aufgenommen. Nur am 25. September machte man Pause mit den formellen Geburtshilfen, denn es war Sonntag. An genau diesem Sonntag wurde Heinrich Geuther geboren. Zwei Ereignisse in derselben Woche, die nichts miteinander zu tun haben. Oder doch? Schicksal oder Zufall?

Vielleicht war auch sein Großvater Schuld daran, dass alles so gekommen ist. Er war es, der – kurz bevor er starb – Heinrich einen Schatz schenkte – zwei uralte Sägefischzähne, die ein Missionar vor langer Zeit mit nach Hause brachte. Die Zähne stammten zwar nicht aus Afrika, sondern von der Küste vor Neuguineas, aber es war wohl dieser Schatz, der dem Kind einen unausrottbaren Virus einpflanzte – ein Virus, der eine unstillbare Neugier auf ferne Länder hervorruft.

Vielleicht wäre dieser Virus nie ausgebrochen hätte Heinrich sich nicht beim Fußballspielen den Schneidezahn ausgebissen und damit sein vorherbestimmtes Leben als Musiker ruiniert. So aber brach der Virus aus und lies in ihm den Wunsch entstehen, Geologe zu werden. Nicht etwa, weil ihn Steine in irgendeiner Form interessiert hätten – nein, viel mehr hatte er die Illusion, dadurch der Enge der DDR zu entfliehen, reisen zu können und damit die Symptome des Virus zu mildern. Um reisender Geologe in der DDR zu werden – dazu musste man politisch „sauber“ sein. Das war er nicht und seine Familie erst recht nicht. Schließlich kam er zur Physik weil er als Putzmann in den Physikgebäuden der Uni jobbte, weil man ihm einen Ausreiseantrag andichtete und weil ihn schon immer interessierte, was die Welt in ihrem Innersten zusammen hält. An letzterem forscht er noch heute.

Der Virus seines Großvaters jedoch, der wütete in ihm mehr als je zuvor und führte dazu, dass ihm die Beschäftigung mit den toten, physikalischen Bausteinen der Natur nicht mehr half. Er tauchte ein in den Kosmos der Elementarteilchen der menschlichen Gesellschaft. Seit dem versucht er, die Menschen mit all ihren Absurditäten und ihrer Mystik zu verstehen. Und (vielleicht) weil er im „Afrikanischen Jahr“ geboren ist, versucht er das vor allem in Afrika. Es sind die Menschen der „Hinterhöfe“ der Erde, die ihn interessieren. Er beginnt seine Arbeit dann, wenn die Kriegsreporter beim Kofferpacken sind. Es ist die eine Frage, die ihn antreibt: Woher nehmen die Menschen nach den oft jahrzehntelangen Kriegswirren den Lebensmut und die Kraft, um neu zu beginnen – beginnen, wieder zu leben, zu lieben, zu lachen. Diese unfassbare menschliche Kraft, dieser Optimismus scheint eine Schlagzeile in unserer schnelllebigen Medienwelt nicht Wert zu sein.  Heinrich Geuther hört diesen Menschen zu, versucht zu verstehen.

Ach ja, ganz nebenbei fotografiert er auch, wobei nicht die Technik, das richtige Licht oder das Arrangement der Szene im Vordergrund steht. Klingt komisch, ist aber so. Geht auch nicht, denn oft bekommt er nur einen Wimpernschlag lang Zeit, den Moment festzuhalten.

Ganz nebenbei hat er auch begonnen, Journalismus zu studieren, da er mit sich selbst nie zufrieden ist und er überzeugt ist, dass man sein Handwerk immer perfektionieren kann. Als er dann aber gemerkt hat, dass einer der Dogmen des Journalismus „Ein Journalist soll sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten.“ seinem Denken und Fühlen als Mensch entgegensteht, hat er das Studium kurzerhand in die Warteschleife geschoben. Da hält er es mit Michael Obert, der in dieser Situation geschrieben hat: (…wenn das die Grundvoraussetzung für einen guten Journalisten ist,) „Dann bin ich kein Journalist. Und will keiner sein.“

Und zu guter Letzt hat er auch noch begonnen, bitterbunte Geschichten von diesen Menschen in den „Hinterhöfen“ der Erde zu erzählen. Das tut er, obwohl man ihm davon abgeraten hatte, da er nicht in der Lage sei, vor Publikum zu reden. Vielleicht ist es gut, nicht auf jeden wohl gemeinten Rat zu hören, denn inzwischen haben seine Geschichten auf internationalen Festivals mehrere Preise gewonnen.

Sollte Sie ihn treffen wollen, so haben Sie die besten Chancen, ihn irgendwo in Afrika zu finden – irgendwo im Dschungel zwischen Sierra Leone und dem Südsudan, auf Sao Tomé oder im Kongo. Sollten Sie ihn dort nicht antreffen, suchen Sie im Nahen Osten oder im Dschungel Papuas. Die Chancen, mit ihm in Ruhe zu sprechen sind dort ungleich besser als das in Deutschland der Fall ist, denn kaum zurückgekehrt, versinkt er regelmäßig im Zeitchaos zwischen Physiker-, Journalisten-, Geschichtenerzähler- und Familienleben…

Ein kleiner Tipp zum Schluss: Am liebsten spricht er darüber, welche Möglichkeiten die Kunst hat, die Welt zu verändern – jenseits allen Kommerzes.